Kurzdefinition: Der Grundsatz ultra posse nemo obligatur (auch: ad impossibilia nemo tenetur) bedeutet, dass niemand zu einer Leistung verpflichtet ist, die unmöglich oder unzumutbar ist. Der Gedanke durchzieht das österreichische Recht: Zivilrecht (Leistungsunmöglichkeit), Strafrecht (Zumutbarkeitsgrenzen bei Unterlassungsdelikten/Pflichtenkollision) und Verwaltungsrecht (behördliches Handeln nur im rechtlich und tatsächlich Möglichen).
1) Zivilrecht (ABGB): Leistungsunmöglichkeit und Zumutbarkeit
Im Zivilrecht spiegelt sich der Grundsatz in den Regeln zur Unmöglichkeit wider:
- Anfängliche Unmöglichkeit: Ist die versprochene Leistung schon bei Vertragsabschluss objektiv unmöglich, ist der Vertrag grundsätzlich nichtig; Ansprüche bestehen dann nicht.
- Nachträgliche Unmöglichkeit: Geht die Leistung später unter, erlischt die Leistungspflicht. Bei Verschulden des Schuldners kommen Schadenersatz– bzw. Ersatzansprüche in Betracht.
Wichtig ist die Abgrenzung zwischen objektiver Unmöglichkeit (für jedermann) und subjektiver Unmöglichkeit (Unvermögen nur dieses Schuldners). Reine wirtschaftliche Unzumutbarkeit genügt regelmäßig nicht, bloße Kostensteigerungen machen die Leistung nicht „unmöglich“. Anders liegt der Fall, wenn rechtliche Verbote oder naturgesetzliche Hindernisse bestehen oder die Leistung den zumutbaren Rahmen klar überschreitet (z. B. Gefahr für Leib und Leben).
Praxisbeispiel (Zivilrecht)
Ein Unternehmer schuldet die Lieferung einer ganz bestimmten Einzelkunst. Wird das Werk vor Lieferung zufällig zerstört, erlischt die Leistungspflicht. Hat der Unternehmer den Untergang schuldhaft herbeigeführt, kann die Gläubigerseite Ersatzansprüche geltend machen, verlangen, dass „aus dem Nichts“ doch noch geliefert wird, kann sie nicht.
2) Strafrecht: Unterlassungsdelikte und Pflichtenkollision
Bei echten und unechten Unterlassungsdelikten setzt eine strafbare Unterlassung voraus, dass die gebotene Handlung dem Täter möglich und zumutbar war. Was niemand leisten kann, kann strafrechtlich nicht verlangt werden. Das gilt besonders bei der rechtfertigenden Pflichtenkollision: Stehen sich zwei gleichrangige Handlungspflichten gegenüber und kann der Täter nur eine erfüllen, ist die Nichterfüllung der anderen nicht strafbar.
Praxisbeispiel (Strafrecht)
Eine Pflegekraft kann bei einem plötzlich auftretenden Notfall realistisch nur eine von zwei zeitgleich gefährdeten Personen versorgen. Erfüllt sie fachgerecht die eine Rettungspflicht, entfällt eine Strafbarkeit wegen Unterlassens gegenüber der anderen, weil mehr als das Mögliche nicht verlangt werden kann.
3) Verwaltungsrecht: Grenzen behördlicher Verpflichtungen
Auch im Verwaltungsrecht gibt es keinen Anspruch auf Unmögliches. Eine Behörde kann nur im Rahmen der Gesetze, der tatsächlichen Möglichkeiten und des Vollstreckbaren handeln. Wo rechtliche Schranken, fehlende Zuständigkeit oder faktische Unmöglichkeit entgegenstehen, besteht kein durchsetzbarer Leistungsanspruch auf ein bestimmtes Verhalten der Behörde.
Praxisbeispiel (Verwaltungsrecht)
Wird ein Bescheid verlangt, der gegen zwingendes Recht verstoßen würde, besteht darauf kein Anspruch, die Behörde darf rechtswidrige Handlungen nicht setzen. Ebenso kann aus einer Entscheidungspflicht keine Verpflichtung abgeleitet werden, eine faktisch unmögliche Maßnahme zu setzen.
4) Objektive Unmöglichkeit vs. subjektives Unvermögen
Objektiv unmöglich ist eine Leistung, die niemand erbringen kann (etwa die Lieferung einer untergegangenen Speziesache). Subjektives Unvermögen liegt vor, wenn nur der konkrete Schuldner nicht leisten kann (z. B. fehlende Fähigkeiten oder Mittel). Das Gesetz schützt nicht jedes Unvermögen. Wer eine Leistung übernimmt, trägt grundsätzlich das Beschaffungs- und Organisationsrisiko. Erst wenn die Anforderungen die Zumutbarkeitsgrenze überschreiten (Gefahr, Rechtsverbot, naturgesetzliche Schranke), greift der Grundsatz.
5) Ethik und rechtliche Relevanz
Der aus der Ethik bekannte Satz („Pflichten enden am Machbaren“) hat im Recht nur begrenzte Bedeutung: Er begründet keine neuen Ansprüche, sondern dient als Grenze bestehender Pflichten.
Kurzfazit
Ultra posse nemo obligatur ist kein bloßer Spruch aus dem Lehrbuch, sondern eine Querleitlinie des österreichischen Rechts: Wo Leistung objektiv oder im rechtlich relevanten Sinn unzumutbar ist, endet die Verpflichtung. Mögliche Schadenersatzfolgen bei Verschulden bleiben davon unberührt.
Quellen & Einzelnachweise
- Zusätzlich zur bisherigen Quelle: Wikipedia (Lizenzhinweis siehe unten).
- ABGB – Regeln zur anfänglichen und nachträglichen Unmöglichkeit; zufälliger Untergang; Schadenersatz bei Vertretenmüssen. (konkrete Paragraphen/Randnummern bitte mit der verwendeten Ausgabe ergänzen)
- StGB-Kommentierung zu Unterlassungsdelikten und rechtfertigender Pflichtenkollision, z. B. Wiener Kommentar zum StGB (WK²), MANZ, aktuelle Auflage. (bitte konkrete Band-/Randnummern nachtragen)
- ABGB-Kommentare, z. B. Rummel/Lukas (Hrsg.), ABGB, aktuelle Auflage, Verlag Österreich oder MANZ; Kletečka/Schauer (Hrsg.), ABGB-ON, MANZ. (bitte konkrete Ausgabe/Randnummern nachtragen)
- Verwaltungsrecht, z. B. Hengstschläger/Leeb, AVG, Linde, aktuelle Auflage; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht, MANZ, aktuelle Auflage. (bitte genaue Stellen nachtragen)
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