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Derivat

Ein derivatives Finanzinstrument oder kurz Derivat (lat. derivare ‚ableiten‘) ist ein gegenseitiger Vertrag, der seinen wirtschaftlichen Wert vom beizulegenden Zeitwert einer marktbezogenen Referenzgröße ableitet. Die Referenzgröße wird als Basiswert (Underlying) bezeichnet. Basiswerte können Wertpapiere (Aktien, Anleihen usw.), finanzielle Kennzahlen (Zinssätze, Indices, Bonitätsratings usw.) oder Handelsgegenstände (Rohstoffe, Devisen usw.) sein. Je nach Ausgestaltung der Hauptleistungspflichten im Vertrag unterscheidet man Festgeschäfte, Swapgeschäfte und Optionsgeschäfte.

  1. Festgeschäft: Festgeschäfte lassen sich als Kauf auf Termin charakterisieren. Der Verkäufer verspricht bei Vertragsschluss, zum Fälligkeitszeitpunkt den Basiswert zu liefern (Physical Settlement) oder einen Barausgleich in Höhe des dann aktuellen Marktpreises des Basiswertes zu zahlen (Cash Settlement). Der Käufer verspricht dagegen, zum Fälligkeitszeitpunkt eine fixe Zahlung zu leisten. Steigt der Marktpreis des Basiswertes während der Laufzeit, so ist das Geschäft für den Käufer vorteilhaft; fällt der Marktpreis, so ist es für den Verkäufer vorteilhaft.
  2. Swapgeschäft: Swapgeschäfte (Swaps) können wirtschaftlich als eine Serie hintereinander geschalteter Festgeschäfte betrachtet werden, z. B. der regelmäßige Leistungsaustausch alle 3 Monate für die Laufzeit von 5 Jahren. Bei einem klassischen Zinsswap verspricht bspw. die eine Vertragspartei, einen festen Zinssatz auf einen Nennbetrag zu zahlen, während die andere Vertragspartei die Zahlung eines variablen Zinssatzes auf diesen Nennbetrag zusagt.
  3. Optionsgeschäft: Optionsgeschäfte (Optionen) geben dem Käufer das Recht – aber nicht die Pflicht – zum Fälligkeitszeitpunkt (Europäische Option) oder während eines definierten Zeitraumes vor der Fälligkeit (Amerikanische Option) eine bestimmte Menge des Basiswertes zu einem fixen Preis zu kaufen (Call-Option) oder zu verkaufen (Put-Option). Die Einräumung dieses Rechts lässt sich der Verkäufer der Option (Stillhalter) zu Beginn der Laufzeit durch eine Optionsprämie vergüten.

Derivate können auch Basiswerte anderer Derivate (2. Grades) sein (z. B. Swaption = Option auf ein vordefiniertes Swapgeschäft). Begriffe wie Termingeschäft, Finanztermingeschäft, Börsentermingeschäft, Finanzderivat oder Warenderivat sind rechtliche oder wirtschaftliche Synonyme bzw. Unterbegriffe derivativer Finanzinstrumente.

Wirtschaftlicher Grundgedanke

Derivate dienen dem Transfer von Risiken: Die Marktrisiken des Basiswertes werden durch Vertragsgestaltung – über den in die Zukunft verschobenen Erfüllungszeitpunkt – in den Derivatevertrag implementiert und können nunmehr separat gehandelt werden. Der Basiswert selbst muss nicht mehr erworben oder veräußert werden. Derivate ermöglichen daher die Trennung von dinglicher Inhaberschaft am Basiswert und Partizipation an dessen Marktchancen und -risiken.[2] Zugleich besteht ein hohes Maß an vertraglicher Gestaltungsfreiheit: Die Partizipation an den Marktrisiken des Basiswertes durch das Derivat muss nicht 1:1 übernommen werden, sondern kann – je nach Risikobedürfnissen der Vertragsparteien – beliebig abgewandelt werden.

Systematisierung

Erfüllungsanspruch

Nach der Bedingtheit des Erfüllungsanspruchs lassen sich bedingte und unbedingte Derivate unterscheiden. Zu den unbedingten Derivaten (klassischerweise: unbedingte Termingeschäfte) zählen Festgeschäfte und Swaps. Hier besteht eine bindende Rechtspflicht zur Leistung zum Leistungszeitpunkt. Zu den bedingten Derivaten (klassischerweise: bedingte Termingeschäfte) zählen Optionen. Hier hängt die Verpflichtung zur Leistung von der Ausübung eines Wahlrechts durch den Optionskäufer ab.

Handelsort

Derivate können börslich oder außerbörslich (Over-the-Counter = OTC) gehandelt werden. Börsengehandelte Derivate sind entsprechend den Bedingungen der Börsen hoch-standardisiert, um einen schnellen und liquiden Handel zu gewährleisten und am zentralen Clearing-Prozess teilnehmen zu können. Derivategeschäfte sind hier als Wertpapiere verbrieft (z. B. Futures; Optionsscheine). Die weltweit größten Derivatebörsen sind die deutsch-schweizerische Eurex (aus der Fusion der SOFFEX und der DTB entstanden), die Chicago Mercantile Exchange (CME), die Korea Exchange (KRX), die britische NYSE Liffe, und die US-amerikanische Chicago Board of Trade (CBOT). Ebenfalls zu nennen ist die ICE Futures U.S. (früher New York Board of Trade) und die New York Mercantile Exchange (NYMEX), welche die großen Warenterminbörsen repräsentieren.

Außerbörslich gehandelte (OTC-)Derivate werden regelmäßig bilateral ausgehandelt und geschlossen. Sie weisen oft individuelle Vertragsgestaltungen auf (Kündigungsklauseln, Leistungsbeschreibungen, Sicherheitsleistungen usw.). Die EMIR-Richtlinie verpflichtet Vertragsparteien von außerbörslich gehandelten Derivaten, diese Geschäfte grundsätzlich über eine zentrale Gegenpartei (CCP) clearen zu lassen. Da sich wirtschaftlich nur hinreichend standardisierte und liquide Derivategeschäfte zum zentralen Clearing eignen, müssen Vertragsparteien von OTC-Derivaten, die der zentralen Clearing-Pflicht nicht unterliegen, hohe Anforderungen an das betriebliche Risikomanagement einhalten.

Handelszweck

Derivategeschäfte werden einerseits zu Absicherungszwecken (Hedging) abgeschlossen. Das Marktrisiko eines zu sichernden Grundgeschäfts kann durch ein Derivategeschäft, das die Marktwertentwicklung des Grundgeschäfts invers abbildet, gesichert werden. Im Idealfall kann eine perfekte Absicherung erreicht werden. Industrie-, Handels- und Finanzunternehmen sichern sich so gegen Änderungen von Marktpreisen, Zinssätzen, Wechselkursen usw. ab. Die Marktgegenseite nehmen regelmäßig Spekulanten ein. Spekulanten übernehmen eigenverantwortlich Risiken in der Hoffnung, dass sie sich nicht realisieren und so ein Gewinn erzielt werden kann. Sie agieren damit als “Versicherer der Kapitalmärkte”.

Derivate können zudem zur Erzielung von Gewinnen aus kleinen Preisdifferenzen an unterschiedlichen Märkten genutzt werden (vgl. Arbitrage). Arbitrage-Gewinne können sich durch Ausnutzung von Preisdifferenzen zwischen Kassa- und Terminmarkt, aus komparativen Kostenvorteilen zwischen verschiedenen Marktsegmenten oder durch Ausnutzung rechtlich unterschiedlicher Behandlung wirtschaftlich gleichwertiger Geschäfte ergeben. Arbitragemöglichkeiten sind wichtig für die Preisbildung an den Märkten. Ein typisches Beispiel ist die sogenannte Cash-and-Carry-Arbitrage.

Bei Absicherungs- und Spekulationsgeschäften bieten Derivate verschiedene Vorteile gegenüber Kassageschäften in den Basiswerten. Derivate erfordern einen geringeren Kapitaleinsatz. Unterliegt der Akteur einer staatlichen Marktregulierung, zum Beispiel bankaufsichtsrechtlichen Eigenkapitalregeln, gilt dies ggf. nicht mehr. Außerdem entfallen Lieferungs- und Lagerkosten, was insbesondere die Spekulation auf Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte erleichtert. Zudem kann es vorkommen, dass die Derivatmärkte liquider sind als die Kassamärkte im zugehörigen Basiswert.

Risiken

Derivate können hohe Risiken bergen. Allerdings sind Derivate nicht per se risikoreicher als Kassageschäfte. Denn mikroökonomisch betrachtet wohnen Derivaten dieselben Marktrisiken der Art nach inne wie den zugrunde liegenden Kassageschäften. Auch dem Ausmaß nach erzeugen Derivate keine Risiken, die nicht schon in gleicher Weise an den Kassamärkten existieren würden.

Erst im direkten Vergleich zwischen Termingeschäft und Basiswert ergeben sich Risikounterschiede. So ist die Preisbildung bei Derivaten insbesondere für Privatanleger oft intransparenter, da diese sich nicht (nur) wie bei Wertpapieren am Kassamarkt durch Angebot und Nachfrage ergibt, sondern neben dem Preis des Basiswertes auch andere Parameter (zum Beispiel Restlaufzeit) eine entscheidende Rolle spielen können. Dies ist für private Anleger oft schwer nachvollziehbar (Komplexitätsrisiko).

Zusätzlich kann – je nach Ausgestaltung des Kontrakts – das Risiko bestehen, entgegen der ursprünglichen Absicht bei Fälligkeit zusätzliche Geldmittel aufbringen zu müssen (Kreditrisiko).

Des Weiteren gibt es das Brokerrisiko. Einlagen bei Brokern sind oft nur bis zu einem bestimmten Betrag abgesichert. Im Jahre 2005 bei der Insolvenz des US-amerikanischen Brokers Refco mussten viele private Anleger Verluste hinnehmen, teilweise sind die dort eingelegten Gelder heute noch eingefroren. Die größtmögliche Sicherheit bieten hier segregierte Einzelkonten, welche rechtlich den Notaranderkonten ähneln. Segregierte Einzelkonten werden in den USA meist erst ab einer Mindestkontoeinlage von 25.000 Dollar angeboten. Die Guthaben werden im Konkursfall des Brokers zu 100 % ausgezahlt.

Zudem unterliegen auch die Preise von Derivaten derselben stochastischen Unsicherheit wie der Basiswert (Marktrisiko), wobei der Hebeleffekt jedoch eine stärkere Partizipation auch an negativen Kursbewegungen bewirkt und so zu überproportionalen Verlusten bis hin zum Totalverlust und darüber hinaus führen kann.

Bedeutung

Derivate sind das vermutlich am schnellsten wachsende und sich verändernde Segment des modernen Finanzwesens. Nach Angaben der BIZ (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich) betrug der Nominalwert aller weltweit ausstehenden OTC-Derivatekontrakte im 2. Halbjahr 2010 601 Billionen US-Dollar. Im Jahr 2000 waren es 95 Billionen US-Dollar.

Die Nominalwerte der ausstehenden Verträge sind allerdings nur sehr beschränkt aussagekräftig, weil Nominalbeträge nur die Rechengrundlage für die Verträge bilden. Es handelt sich weder um Zahlungen, die ausgetauscht werden, noch um den Wert der aus den Derivatverträgen erwachsenden Forderungen. Zudem kommt es bei der Ermittlung der Beträge durch die BIZ in dem Sinne zu Mehrfachberücksichtigungen, als dass es sich um Bruttovolumina handelt, die Risiken aus den Verträgen sich aber auch auf Ebene der einzelnen Marktteilnehmer teilweise ausgleichen.

Literatur

  • Michael Bloss, Dietmar Ernst: Derivate. Handbuch für Finanzintermediäre und Investoren. Oldenbourg Verlag, München 2008, ISBN 978-3-486-58354-0.
  • Martin Bösch: Derivate. Verstehen, anwenden und bewerten. 3. Auflage. Vahlen Verlag, München, 2014, ISBN 978-3-8006-4843-6.
  • John C. Hull: Optionen, Futures und andere Derivate. Aus dem Englischen von Hendrik Hoffmann. 8., aktualisierte Auflage. Pearson Studium, München 2012, ISBN 978-3-86894-118-0.
  • Sebastian Kind: Börsen- und Finanztermingeschäfte. Peter Lang, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-631-53077-3.
  • Ernst Müller-Möhl: Optionen und Futures. Grundlagen und Strategien für das Termingeschäft in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. 5. Auflage. überarbeitet und aktualisiert von Erhard Lee. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2002, ISBN 3-7910-1819-1.
  • Günter Reiner: Derivative Finanzinstrumente im Recht. Nomos Verlag, Baden-Baden, 2002, ISBN 3-7890-7855-7.

Weblinks

Quellen & Einzelnachweise

  1. John Hull: Optionen, Futures und andere Derivate. 2010, S. 942.
  2. Christian Köhler: Die Zulässigkeit derivativer Finanzinstrumente in Unternehmen, Banken und Kommunen: Eine ökonomische und rechtliche Analyse. Mohr Siebeck, ISBN 978-3-16-151928-4, S. 7.

http://de.wikipedia.org/wiki/Derivat_(Wirtschaft) 07.11.2014

Lizenzinformation zu diesem Artikel

Dieser Artikel basiert auf dem in den Quellen angeführten Wikipedia-Artikel, verfügbar unter der LizenzCC BY-SA 3.0“.

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