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Presserat zur Veröffentlichung des vollen Namens der vermeintlichen „Oligarchennichte“

Wien (OTS) – Der Senat 2 des Presserats stellt gegenüber „kurier.at“ einen geringfügigen Verstoß gegen den Ehrenkodex fest, weil im Artikel „Identität der Ibiza-Oligarchennichte dürfte geklärt sein“, erschienen am 13.09.2023, der volle Name der vermeintlichen „Oligarchennichte“ des Ibiza-Videos genannt wurde.

Gegenüber „oe24.at“ stellt der Senat einen Verstoß gegen den Ehrenkodex fest, weil im Artikel „Ibiza-Oligarchin enttarnt: Das ist Straches Lockvogel“, erschienen am 13.09.2023, nicht nur der volle Name, sondern auch der Führerschein sowie mehrere Bilder der „Oligarchennichte“ in privaten Situationen sowie ein Bild ihres Wohnhauses veröffentlicht wurden.

Das Verfahren ging auf Mitteilungen von Userinnen und Usern zurück. Während die Medieninhaberin von „kurier.at“ eine Stellungnahme abgab, nahm die Medieninhaberin von „oe24.at“ nicht am Verfahren teil.

Zunächst hielt der Senat fest, dass in den oben genannten Beiträgen ein Thema von großem öffentlichem Interesse behandelt wird: Das „Ibiza-Video“ dokumentierte ein geheimes Treffen der damaligen FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus mit einer vermeintlichen „Oligarchennichte“ auf Ibiza im Sommer 2017. Im Zuge dieses Treffens sprachen die Beteiligten über verdeckte Parteienfinanzierung, die Vergabe von Staatsaufträgen an die „Oligarchen-Nichte“ sowie eine mögliche Übernahme der „Kronen Zeitung“. In Anbetracht der (demokratie)politischen Brisanz des Videos hält es der Senat grundsätzlich für gerechtfertigt, auch über seine Herkunft bzw. die Urheberinnen und Urheber und deren etwaige Motive zu berichten.

Aus dem öffentlichen Interesse an dem konkreten Ereignis ergibt sich jedoch nicht, dass der Persönlichkeitsschutz der am „Ibiza-Video“ beteiligten Personen völlig außer Acht gelassen werden darf (Punkt 5 des Ehrenkodex für die österreichische Presse). Auch wenn es gegen die die Herstellerinnen und Hersteller des „Ibiza-Videos“ strafrechtliche Ermittlungen gibt, ist der Anonymitätsschutz der mutmaßlichen Täterinnen bzw. Täter in einem gewissen Ausmaß zu beachten. Bei der Frage, inwieweit über Tatverdächtige identifizierend berichtet werden darf, ist insbesondere die Schwere der ihnen zur Last gelegten Straftaten entscheidend.

In medienethisch heiklen Fällen sollte eine vollständige Namensnennung insbesondere dann unterlassen werden, wenn der Adressatenkreis der Leserinnen und Leser – wie im vorliegenden Fall bei Online-Beiträgen – verhältnismäßig weit gefasst ist. In den Beiträgen wird außerdem auch noch das Alter als weiteres Identifizierungsmerkmal der Verdächtigen genannt.

Die Tatverdächtige ist zwar nicht ausschließlich als Privatperson anzusehen. In ihrer Rolle als „Oligarchennichte“ trug sie dazu bei, dass sich die damalige österreichische Bundesregierung vorzeitig auflöste und es in der Folge zu mehreren Strafverfahren kam, u.a. gegen Politiker in hohen Ämtern. Daher muss es sich die Tatverdächtige grundsätzlich gefallen lassen, dass Medien ihre Rolle im „Ibiza-Video“ kritisch beleuchten.

Nach Ansicht des Senats spielt es hier allerdings eine wesentliche Rolle, dass der Verdächtigen von der Staatsanwaltschaft derzeit offenbar keine schweren Straftaten vorgeworfen werden und sie auch nicht die Haupttatverdächtige ist. Im Ergebnis wäre es erforderlich gewesen, zumindest den Nachnamen der Betroffenen mit dem Anfangsbuchstaben abzukürzen.

Auch eine Gefährdung iSv. Punkt 5.3 des Ehrenkodex ist im vorliegenden Fall nicht vollkommen auszuschließen: Die betroffene Frau hat sich gegenüber H. C. Strache und Johann Gudenus als wohlhabende Russin und Nichte eines tatsächlich existierenden Oligarchen präsentiert. Sowohl eine Gefährdung durch die extreme rechte Szene als auch durch das Umfeld des Oligarchen erscheint prinzipiell möglich.

Im Unterschied zu den anderen beiden Urhebern des „Ibiza-Videos“ lässt sich außerdem die Situation der Verdächtigen in Lettland nur schwer beurteilen; es ist beispielsweise unklar, ob die Betroffene zum Zeitpunkt der Veröffentlichung persönliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen hatte. Aufgrund dieser Umstände hätten die beiden Medien mit identifizierenden Details zur Betroffenen besonders achtsam bzw. zurückhaltend umgehen müssen.

In Anbetracht dieser Erwägungen bewertet der Senat die Nennung des vollständigen Namens der „Ibiza-Oligarchennichte“ als geringfügigen Verstoß gegen Punkt 5 des Ehrenkodex (Persönlichkeitsschutz) und spricht einen Hinweis an die Medieninhaberin von „kurier.at“ aus.

Erschwerend kommt beim Artikel auf „oe24.at“ hinzu, dass nicht nur der vollständige Name und das Alter der Tatverdächtigen genannt werden, sondern in den Artikel auch umfangreiches Bildmaterial eingearbeitet wurde. Einige Aufnahmen zeigen die Betroffene in unterschiedlichen (privaten) Situationen; zudem wurde auch ein Foto des Führerscheins mit weiteren persönlichen Details der Betroffenen (u.a. Geburtsdatum, Führerscheinnummer) veröffentlicht. Schließlich ist dem Artikel noch ein Foto des Wohnhauses der Verdächtigen beigefügt.

Nach Meinung des Senats greift die Veröffentlichung der Führerscheindaten sowie des weiteren Bildmaterials – insbesondere des Fotos mit dem Wohnhaus – in die Privatsphäre der Betroffenen ein.

Der Beitrag auf „oe24.at“ enthält eine deutlich größere Anzahl an identifizierenden und privaten Details der Betroffenen. Darin erkennt der Senat einen Verstoß gegen Punkt 5 des Ehrenkodex (Persönlichkeitsschutz). Überdies empfiehlt der Senat Anpassungen in den beiden Artikeln im Sinne der vorliegenden Entscheidung (vgl. Punkt 2.4 des Ehrenkodex).

SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND VON MITTEILUNGEN MEHRERER LESERINNEN UND LESER

Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.

Im vorliegenden Fall führte der Senat 2 des Presserats aufgrund von Mitteilungen mehrerer Leserinnen und Leser ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund von Mitteilungen). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht. Die Medieninhaberin von „kurier.at“ hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, Gebrauch gemacht, die Medieninhaberin von „oe24.at“ hingegen nicht.

Die Medieninhaberinnen der Tageszeitungen „KURIER“ und „OE24“ haben die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats anerkannt.

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