Was bedeutet „Lex contractus“ im österreichischen Recht?
Der Begriff „Lex contractus“ steht für das auf einen Vertrag anwendbare Recht. Wenn also zwei Parteien aus unterschiedlichen Ländern einen Vertrag schließen, stellt sich oft die Frage: Nach welchem Recht soll dieser Vertrag beurteilt werden? Genau hier kommt die Rechtswahl ins Spiel.
Rechtswahl nach der Rom I-Verordnung
In Österreich richtet sich das Vertragsstatut seit dem Beitritt zur Europäischen Union in grenzüberschreitenden Fällen nach der Rom I-Verordnung (VO [EG] Nr. 593/2008). Diese Verordnung ist in allen EU-Mitgliedstaaten – mit Ausnahme Dänemarks – unmittelbar anwendbar und hat das EVÜ (Europäisches Vertragsübereinkommen) abgelöst.
Nach Art. 3 Rom I-VO können die Vertragsparteien das auf ihren Vertrag anzuwendende Recht frei wählen. Diese Rechtswahl kann ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Vertragsbestimmungen oder den Umständen des Falles ergeben. Sie können sich also beispielsweise dafür entscheiden, dass ihr Vertrag dem Recht Österreichs, Deutschlands oder etwa Italiens unterliegt – ganz unabhängig vom Sitz der Parteien oder vom Ort der Vertragserfüllung.
Was gilt ohne Rechtswahl?
Wurde keine Rechtswahl getroffen, bestimmt sich das anzuwendende Recht nach Art. 4 Rom I-VO. Dieser Artikel enthält eine abgestufte Regelung:
- Bei Kaufverträgen über Waren ist grundsätzlich das Recht des Staates maßgeblich, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
- Bei Dienstleistungsverträgen gilt das Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
- Und wenn sich ein Vertrag keinem der standardisierten Vertragstypen klar zuordnen lässt, kommt das Recht des Staates zur Anwendung, mit dem der Vertrag die engste Verbindung aufweist.
In besonderen Fällen – zum Beispiel bei Verbraucherverträgen, Arbeitsverträgen oder Versicherungsverträgen – gelten zusätzlich spezielle Schutzvorschriften (Art. 5-8 Rom I-VO), die verhindern sollen, dass die schwächere Partei durch eine ungünstige Rechtswahl benachteiligt wird.
Lex contractus: Freiheit ja – aber nicht grenzenlos
Die Rom I-Verordnung eröffnet Vertragsparteien große Freiheit. Aber wie so oft im Recht gilt auch hier: Die Freiheit endet dort, wo zwingende Vorschriften eingreifen. Etwa dann, wenn zwingendes Verbraucherschutzrecht eines bestimmten Landes nicht durch Rechtswahl umgangen werden darf (vgl. Art. 6 Rom I-VO).
Und übrigens: Für rein innerstaatliche Verträge – also Verträge, die keinen Auslandsbezug haben – ist die Rom I-Verordnung gar nicht anwendbar. In solchen Fällen greift weiterhin das österreichische IPR-Gesetz, das die Grundsätze der Rechtswahl ebenfalls anerkennt (§ 35 IPRG), aber nur subsidiär zur Anwendung kommt.
Fazit
Die „Lex contractus“ beschreibt das Recht, das auf einen Vertrag anwendbar ist. In Österreich – wie in der gesamten EU – richtet sich diese Frage bei grenzüberschreitenden Verträgen in erster Linie nach der Rom I-Verordnung. Sie erlaubt eine weitgehende Rechtswahl, trifft aber auch klare Regeln für den Fall, dass keine Wahl erfolgt. Ziel ist dabei immer: Rechtssicherheit und Verlässlichkeit für die Vertragsparteien.
Quellen
- Rom I-VO (Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht)
- Rauscher (Hrsg.), Europäisches Kollisionsrecht, 6. Auflage, Verlag Otto Schmidt
- Kropholler/von Hein, Internationales Privatrecht, 7. Auflage, Mohr Siebeck
- Schwimann/Kodek, Internationales Privatrecht, in: Schwimann ABGB-Taschenkommentar, 4. Auflage, MANZ Verlag