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Neues OGH-Urteil zum VW-Abgasskandal: Auch wer das Software-Update ausgelassen hat, hat Recht auf Vertragsauflösung

Aufgrund des österreichischen Klimas ist auch das „Thermofenster“ eine illegale Abschaltvorrichtung

Mit einem hochaktuellen Urteil stärkte der Oberste Gerichtshof den Betroffenen des VW-Abgasskandals den Rücken (OGH 21.02.2023, 10 Ob 2/23a). Unabhängig davon, ob sich Käufer und Käuferinnen das Software-Update einspielen haben lassen, können sie den Kauf rückabwickeln. Gegen Zurückstellung des Fahrzeuges muss der Verkäufer den Kaufpreis abzüglich eines Benutzungsentgelts zurückzahlen – und das mit Zinsen. Das Benutzungsentgelt wird anhand der gefahrenen Kilometer in Relation zur erwartbaren Restlaufzeit errechnet.

Der Hintergrund ist bekannt: 2015 flog auf, dass VW und andere deutsche Hersteller in die Motorsteuerung von Dieselfahrzeugen eine elektronische Abschalteinrichtung eingebaut hatten. Medien sprachen von „Schummelsoftware“.

Im regulären Fahrbetrieb war die Motorsteuerung so konfiguriert, dass die Abgasgrenzwerte der Euro 5 Abgasnorm überschritten wurde. Mit dieser Konfiguration hätten die Fahrzeuge nie zum Verkehr zugelassen werden dürfen. Es wurde mehr Stickoxid in die Atmosphäre geblasen, als erlaubt.

Die Software erkannte jedoch, wenn sich Fahrzeug auf dem Prüfstand zur Abgasmessung befand. Nur unter diesen Laborbedingungen wurde ein umweltfreundlicher Modus aktiviert. Dieser umweltfreundliche Modus senkte den Sauerstoffgehalt bei der Verbrennung im Motor, indem ein größerer Teil des Abgases zurückgeführt wurde.

Auf der Straße schaltete sich dieser Modus automatisch ab. Denn er wirkte sich zwar positiv auf die Umwelt aus, jedoch wurden Nachteile auf andere Fahrzeugeigenschaften befürchtet, die manchen Käufern wichtiger sind (Verbrauch, Verschleiß, Performance).

Die Hersteller versuchten das Problem nach Auffliegen des Skandals durch ein Software-Update aus der Welt zu schaffen. Das Update aktivierte den umweltfreundlichen Modus teilweise auch im Straßenbetrieb. Im Fall von VW blieb der Modus trotz des Updates nur auf bestimmte Außentemperaturen beschränkt, nämlich auf das sogenannte „Thermofenster“ zwischen 15°C und 33°C. Damit blieb im Winter alles beim Alten, im Sommer verhielt sich der Motor erstmals „umweltfreundlich“ bzw. gesetzeskonform. Eine Verpflichtung zum Einspielen des Updates wurde vom deutschen Kraftfahr-Bundesamt als der für die Fahrzeuge EG-weit zuständigen Typengenehmigungsbehörde als nachträgliche Anordnung vorgegeben.

Das Update stieß auf zwei Kritikpunkte: den einen ging es nicht weit genug, sie beanstandeten, dass sich das Fahrzeug im Winter weiterhin umweltschädlich verhielt und nicht den Rechtsvorschriften entsprach. Andere Fahrzeughalter weigerten sich bewusst das Update einzuspielen, sie hatten Sorge um die gewohnten Fahreigenschaften.

In dem vom OGH entschiedenen Fall hatte ein VW-Käufer die Wandlung des Kaufvertrags erklärt und den Fahrzeugverkäufer auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich eines Nutzungsentgelts geklagt. Den Hersteller VW klagte der Käufer gleich dazu, von ihm wollte er Schadenersatz.

Die Schwachstelle des Käufers: Trotz Aufforderung hatte er sich geweigert, sich das Software-Update einspielen zu lassen. Dem klagenden VW-Käufer war es gegenüber dem Erstgericht nicht gelungen, die technischen Nachteile des Software-Updates zu beweisen.

Damit stellte sich die Frage, ob der Käufer durch diese Weigerung zum Einspielen des Software-Updates seine Gewährleistungsansprüche verloren hatte. Denn nach dem österreichischen Gewährleistungsrecht ist die Rückabwicklung eines Kaufes an strenge Voraussetzungen geknüpft (die sogenannte „Vertragsauflösung“, früher: „Wandlung“). Insbesondere ist es im Regelfall erforderlich, dem Verkäufer beim Vorliegen eines Mangels eine zweite Chance zu gewähren, davon darf nur unter bestimmten Ausnahmen abgewichen werden.

Die Frage war somit, ob das angebotene Software-Update eine solche zweite Chance gewesen wäre.

Die erfreuliche Wendung für den Käufer: einige Monate zuvor hatte der europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 14.07.2022, C-134/20 einige für die Käuferseite vorteilhafte Auslegungen vorgenommen.

Erstens hatte der EuGH erklärt, dass eine Abschalteinrichtung unabhängig davon als Gewährleistungsfall anzusehen ist, ob dem Fahrzeug die EG-Typengenehmigung entzogen wurde oder nicht. Ob das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt das Problem durch das Update für „gelöst“ erachtet, spielt damit für die Ansprüche der Geschädigten keine Rolle.

Zweitens erklärte der EuGH auch das „Thermofenster“ als illegale Abschaltvorrichtung, wenn aufgrund des konkreten Temperaturbereichs und des örtlichen Klimas der umweltfreundliche Modus mehr als 50% des Jahres ausgeschaltet bleibt.

Drittens ist eine illegale Abschaltvorrichtung unter keinen Umständen ein sogenannter „geringfügiger Mangel“. Und zwar auch dann nicht, wenn der Käufer das Fahrzeug auch gekauft hätte, wenn er davon gewusst hätte. Das ist deshalb wichtig, da bei „geringfügigen Mängeln“ die Vertragsauflösung unzulässig wäre.

Der österreichische OGH konnte damit auf das EuGH-Urteil aus Brüssel aufbauen.

Die vorhandene „Umschaltlogik“ stufte auch der OGH als Sachmangel ein. Der Verkäufer hatte eine „zweite Chance“ zur Behebung des Mangels, diese jedoch nicht genutzt. Denn trotz des angebotene Software-Updates wäre das „Thermofenster“ weiter bestanden, wodurch während sieben oder acht Monaten im Jahr der Modus deaktiviert worden wäre.

Zum Benutzungsentgelt für das Fahrzeug, das im Zuge der Rückabwicklung vom Kaufpreis abzuziehen ist erklärte der OGH, dass dieses unter diesen Umständen in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern linear zu berechnen ist. Im Gegenzug erhält der Käufer mit 4% Zinsen für die gesamte Dauer.

Ob und unter welchen Umständen auch der Hersteller VW dem Käufer direkt haftet, wurde noch nicht geklärt – hier wartet der OGH noch auf ein zusätzliches Urteil aus Brüssel. Bis dieses noch ausständige EuGH-Urteil ergeht (C-100/21) wurde unterbrochen.

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