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Lex Aquilia

Die lex Aquilia (lateinisch für „Gesetz des Aquilius“) war ein römisches Plebiszit zur Regelung des Schadensersatzrechts. Das Gesetz beschrieb eine Fülle von Deliktstatbeständen mit unterschiedlichen Rechtsfolgen. Während des Mittelalters und der Neuzeit wurde die lex Aquilia zunehmend extensiver angewendet und auch allgemeiner, bis sie sich im usus modernus zu einer Generalklausel entwickelte. Das Gesetz ist ein bedeutender Vorläufer des modernen Schadenersatzrechts.

Die lex Aquilia soll 286 v. Chr. vom römischen Volkstribun Aquilius eingeführt worden sein. Wirtschaftshistorische Untersuchungen erwägen allerdings eine spätere Einführung um etwa 200 v. Chr.

Der Umfang der Regelungen machte es notwendig, ältere Sanktionen, beispielsweise zur Sachbeschädigung, aufzuheben. Dazu zählten auch Schadensersatzbestimmungen der Zwölftafelgesetze.

Aufbau

Die lex Aquilia war in drei Kapitel gegliedert, wobei das zweite Kapitel außer Gebrauch kam. Das erste wie auch das vermutlich später angefügte dritte Kapitel, die beide die Sachbeschädigung behandelten, sind wortgetreu erhalten geblieben. Sie wurden im 7. Buch zum Provinzialedikt des Gaius sowie im 18. Buch zum Edikt des Ulpian wiedergegeben und lassen sich in den Digesten wiederfinden.

Tatbestand

Der Kläger verklagt den Schädiger mit der actio legis Aquiliae. Der Tatbestand, der dieser Klage zugrunde lag, erforderte sowohl nach Kapitel 1 als auch nach Kapitel 3 zunächst ein damnum iniuria datum, also einen widerrechtlich zugefügten Schaden. Handeln war in Form positiven Tuns vorausgesetzt und musste kausal für den Schadenseintritt sein. Die Schädigung hatte grundsätzlich unmittelbar corpore, durch körperliches Tätigwerden des Täters zu erfolgen (damnum corpore datum).

Der Begriff damnum, dessen ursprüngliche Bedeutung nicht sicher ist, bezeichnete im Sinne der lex Aquilia eine von einem Täter verursachte Vermögensbeeinträchtigung. Voraussetzung für die Klage ex lege Aquiliae war nach Kapitel 1 ein durch Töten (occidere) eines fremden Sklaven oder vierbeinigen Herdentieres beziehungsweise nach dem allgemeiner formulierten, nicht auf Sklaven und vierfüßige Herdentiere beschränkten dritten Kapitel durch Verbrennen (urere), Zerbrechen (frangere) oder Zerreißen (rumpere) einer Sache erlittener Schaden.

Zu unterscheiden von dem nach Kapitel 1 vorausgesetzten occidere, das restriktiv im Sinne von Tötung durch unmittelbares Handanlegen (quasi manu) ausgelegt wurde, war die mittelbare Verursachung des Todes (causam mortis praebere oder causam mortis praestare). In solch einem Fall war die lex Aquilia nicht unmittelbar anwendbar. Genauso wenig anwendbar war die lex Aquilia bei Schädigungen an Freien, wie etwa an einem filius familias. Für derartige Fälle der mittelbaren Kausalität oder der Schädigung an Freien wurde die Haftung ex lege Aquiliae bereits zu republikanischer Zeit durch Gewährung analoger prätorischer Klagen, bezeichnet als actiones in factum oder actiones utiles, erweitert. Ebenso schon zu republikanischer Zeit wurde rumpere aus Kapitel 3 in corrumpere („zerstören, verderben, beschädigen“) gedeutet, also ausgeweitet.

Einheitlich nach beiden Kapiteln musste die Tat ferner iniuria geschehen sein. Hierfür war zunächst zu prüfen, ob die schädigende Handlung non iure („rechtswidrig“) herbeigeführt wurde. Die Rechtswidrigkeit war durch die Verwirklichung des Tatbestands indiziert. Gerechtfertigt beziehungsweise entschuldigt sein konnte die Tat etwa durch Notwehr, Notstand, rechtmäßige Eingriffe eines Magistrats oder Einwilligung des Geschädigten.

Später wurde in die Rechtswidrigkeit das Verschulden in Form von Vorsatz (dolus) und Fahrlässigkeit (culpa) hineingelegt. Die iniuria wurde dementsprechend bejaht, wenn jemand vorsätzlich oder fahrlässig vorgegangen war. Vorsätzlich handelte dabei, wer den schädigenden Erfolg seiner Tat vorhersah und billigte, wohingegen Fahrlässigkeit als die Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt verstanden wurde.

Klageart

Bei den Klagearten war nach Gaius zunächst je nach Klageziel zwischen sachverfolgenden Klagen und Strafklagen zu unterscheiden, die nebeneinander erhoben werden konnten. Ziel der Strafklagen (actiones poenales) war nicht ein Schadensersatz, sondern eine vom Täter zu leistende Buße (poena), die oftmals ein Vielfaches des Schadens ausmachte. Von den rein sachverfolgenden Klagen und den reinen Strafklagen waren die gemischten Klagen zu differenzieren, in denen beide Klagezwecke miteinander verbunden waren. Diese actiones mixtae konnten weder neben anderen Strafklagen noch neben anderen sachverfolgenden Klagen geltend gemacht werden.

Die actio legis Aquiliae ist ob ihrer passiven Unvererblichkeit sowie der Noxalität als Strafklage mit Sachverfolgungsfunktion zu den gemischten Klagen zu zählen. Als solche stand sie in einem elektiven Konkurrenzverhältnis zu anderen Klagen; der Geschädigte hatte die Wahl, welche Klage er geltend machte. Bei mehreren Handlungen, etwa bei der Verletzung eines Sklaven und späteren Tötung, war der Täter jedoch sowohl für die Verletzung als auch für die Tötung haftbar.

Wurde der Beklagte nach dem ersten Kapitel belangt, so musste er dem Eigentümer so viel zahlen, wie die Sache im letzten Jahr höchstens wert war – darin ist wohl ein pönales Element erkennbar. Wenn er aus dem dritten Kapitel belangt wurde, musste er so viel zahlen, wie die Sache in den nächsten 30 Tagen wert sein würde. Die Gründe für diese Wertbemessung sind in der Forschung umstritten.

Literatur

  • Peter Apathy, Georg Klingenberg, Herwig Stiegler: Einführung in das Römische Recht. 2. verb. Auflage. Böhlau Verlag, Wien 1975, ISBN 3-205-98950-3.
  • Nikolaus Benke, Franz-Stefan Meissel: Übungsbuch Römisches Schuldrecht. Manz’sche Verlags- u. Universitätsbuchhandlung, 2009, ISBN 3-214-14959-8.
  • Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht, Böhlau, Wien 1981 (9. Aufl. 2001) (Böhlau-Studien-Bücher) ISBN 3-205-07171-9, S. 280 f.

Einzelnachweise

  1. Corpus iuris civilis, Text und Übersetzung, II, Digesten 1–10, gemeinschaftlich übersetzt und herausgegeben von Okko Behrends, Rolf Knütel, Berthold Kupisch, Hans Hermann Seiler, mit Beiträgen von Peter Apathy u. a. 1995, S. 733 ff.
  2. Hans-Peter Benöhr: Die Redaktion der Paragraphen 823 und 826 BGB. In: Reinhard Zimmermann u. a. (Hrsg.): Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik. C.F. Müller, Heidelberg 1999, S. 499 ff (502 f.).
  3. Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht, Böhlau, Wien 1981 (9. Aufl. 2001) (Böhlau-Studien-Bücher) ISBN 3-205-07171-9, S. 280 f.
  4. Vgl. Ulpian D. 9.2.27.4.
  5. D.9.2.2.pr. und D.9.2.27.5.
  6. Paul Jörs, Wolfgang Kunkel, Leopold Wenger: Römisches Recht. 4. Auflage. New York, Berlin, Heidelberg 1987, neu bearbeitet von Heinrich Honsell, Theo Mayer-Maly, Walter Selb, S. 368.
  7. Theo Mayer-Maly: Die Klagenkonkurrenz im römischen Recht. Zur Geschichte der Scheidung von Schadensersatz und Privatstrafe. Göttingen 1972, S. 164.
  8. Inst. 4,3,16.
  9. Max Kaser, Rolf Knütel: Römisches Privatrecht. 19. Auflage. C.H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57623-2, § 36 Rn. 3, § 51 Rn. 11.
  10. Nils Jansen: Die Struktur des Haftungsrechts. Geschichte, Theorie und Dogmatik außervertraglicher Ansprüche auf Schadensersatz. Jus privatum 76, XXI, Tübingen 2003, S. 218.
  11. Dazu Nils Jansen: Die Struktur des Haftungsrechts. Geschichte, Theorie und Dogmatik außervertraglicher Ansprüche auf Schadensersatz. Jus privatum 76, XXI, Tübingen 2003, S. 205 f.
  12. Reinhard Zimmermann: The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition. Nachdruck, München 1996, S. 957.
  13. Dazu Dieter Nörr: Causa mortis. Auf den Spuren einer Redewendung. München 1986, S. 121 ff.
  14. Heinrich Honsell: Römisches Recht. 7. Auflage. Berlin, Heidelberg 2010, S. 169.
  15. Reinhard Zimmermann: The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition. Nachdruck, München 1996, S. 1014 f.
  16. Zur Differenzierung der Begriffe Reinhard Zimmermann: The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition. Nachdruck, München 1996, S. 993 ff.
  17. Max Kaser, Rolf Knütel: Römisches Privatrecht. 19. Auflage. C.H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57623-2, § 51 Rn. 14.
  18. Herbert Hausmanninger: Das Schadensersatzrecht der lex Aquilia. 5. Auflage. Wien 1996, S. 12.
  19. Paul Jörs, Wolfgang Kunkel, Leopold Wenger: Römisches Recht. 4. Auflage. New York, Berlin, Heidelberg 1987, neu bearbeitet von Heinrich Honsell, Theo Mayer-Maly, Walter Selb, S. 365.
  20. Reinhard Zimmermann: The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition. Nachdruck, München 1996, S. 999 ff.
  21. Heinrich Honsell: Römisches Recht. 7. Auflage. Berlin, Heidelberg 2010, S. 168 f.
  22. Nils Jansen: Die Struktur des Haftungsrechts. Geschichte, Theorie und Dogmatik außervertraglicher Ansprüche auf Schadensersatz. Jus privatum 76, XXI, Tübingen 2003, S. 216 ff.
  23. Max Kaser, Rolf Knütel: Römisches Privatrecht. 19. Auflage. C.H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57623-2, § 35 Rn. 12.
  24. Nils Jansen: Die Struktur des Haftungsrechts. Geschichte, Theorie und Dogmatik außervertraglicher Ansprüche auf Schadensersatz. Jus privatum 76, XXI, Tübingen 2003, S. 187.
  25. Nils Jansen: Die Struktur des Haftungsrechts. Geschichte, Theorie und Dogmatik außervertraglicher Ansprüche auf Schadensersatz. Jus privatum 76, XXI, Tübingen 2003, S. 209 m.w.N.
  26. Nils Jansen: Die Struktur des Haftungsrechts. Geschichte, Theo
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